Donnerstag, 7. Juni 2012

Zurück zur Ständegesellschaft

Es gibt sie: Ideen, von denen ich mir wünschte, sie wären nie gedacht wurden. Diese ist eine davon. Wirklich alle Medien waren sich heute morgen einig und haben eine Nachricht verbreitet, die ursprünglich von NDR Info stammt: Die Schufa will Daten im Internet, vor allem in sozialen Netzwerken, sammeln und diese mit ihrer Kartei abgleichen! Damit der Aufschrei nicht soooo groß wird erforscht sie diese Datenverknüpfung im Tarnmantel der Wissenschaft und sucht dafür die Kooperation mit dem Hasso-Plattner-Institut der Universität Potsdam. Wir wissen ja: Wissen ist gut, Wissenschaft erzeugt Wissen, also ist auch Wissenschaft gut.

Dass diese Milchmädchenrechnung nicht aufgeht erkannte einst schon Robert Oppenheimer, aber wieso sollte der Menschen an sich aus Fehlern lernen? Wenigstens nehmen unsere Medien ihre journalistische Pflicht ausnahmsweise Mal Ernst und machen zumindest die Pläne öffentlich bekannt -- auch wenn sie sich scheuen, die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.

Auf dem Seiten des NDR gibt es eine sehr schöne Aufstellung, in welchen Bereichen alles geforscht werden soll, die ich an dieser Stelle nicht wiedergeben möchte. Zum weiteren Verständnis kann aber ein Blick auf diese Website nicht schaden. Zusammengefasst kann man sagen: Die Schufa lässt den gläsernen Bürger erforschen und geht damit einen Schritt, den wir reflexartig eher von der Bundesregierung, Facebook, Google oder Apple erwartet hätten. Und im Gegensatz zur Bundesregierung braucht sie dafür keinen Bundestrojaner, im Vergleich zu Apple muss sie keine Geräte an die ausspionierten Kunden geben und anstatt Facebook und Google muss sie keinen, aber auch wirklich keinen verdammten Service bereitstellen, damit die Nutzer freiwillig die zur Nutzung vorgesehenen Daten hergeben. Der Clou ist simple wie genial: Es sollen lediglich die vorhandenen Daten auf den sozialen Netzwerken ausgelesen werden. Yippie!

Für den Fall, dass Nutzer ihren Klarnamen gegen ein legitimes Pseudonym austauschen, sollen Honeypot-Accounts angelegt werden. Accounts also, die interessant erscheinen und zum Befreunden oder Einkreisen einladen sollen. Cool. Mensch müsste mal nachlesen, ob sowas nicht gegen irgendwelche Nutzungsbedingungen verstößt. Aber das wird dann eine andere Schlacht. Auf jeden Fall soll dieses Vorgehen auch dafür sogen, dass Informationen aus den nicht-öffentlichen Teilen der sozialen Netzwerke gezogen werden können, womit die Möglichkeit der begrenzten Mitteilung an Interessierte zur privaten Kommunikation vollkommen ad absurdum geführt wird.

Als wäre der Schritt zum -- privaten, wohlgemerkt! Die Schufa ist immer noch ein gewinnorientiertes Unternehmen! -- Big Brother Institut Schufa nicht schon schlimm genug forciert diese Datenverknüpfung eine Art von Gesellschaft, in der ich zumindest nicht leben möchte: Die Ständegesellschaft. Hier der Versuch eine logischen Argumentation in 3 Schritten.


  1. Die vom NDR veröffentlichten Informationen sprechen eindeutig von "Relationship Extraction, um Beziehungen zwischen Entitäten zu gewinnen." Mit anderen Worten: Es wird geschaut, wer mit wem befreundet ist. Böse Zungen könnte jetzt auch sagen: Mit welcher Art von Mensch mensch am meisten Kontakt hält.
  2. Diese gewonnenen Daten werden auf ihre Korrelation zur Bonität der Person hin untersucht.
  3. Daraus folgt: Wenn du dich viel mit Menschen umgibst, die eine schlechte Bonität haben, dann machst du das doch nur, weil du auch eine schlechte Bonität hast und die anderen möglicherweise vom Jobcenter oder der Tafel her kennst. Willst du also keine schlechte Bonität auf Grund deiner Bekannten haben, dann halte deine Bekanntschaften rein und säubere deine Freundesliste von Individuen, die deinem Ruf schaden könnten. Öffentlich würde die Schufa eine derartige Ansicht natürlich nicht teilen, aber NDR Info liegen laut eigenen Aussagen vertrauliche Informationen vor, die genau diesen Verdacht bestätigen.
Wir sind also wieder in Zeiten der Ständegesellschaft angekommen: Wenn mensch sich nicht standesgemäß mit Freunden umgibt, dann muss der Ruf zwangsläufig leiden und das Leben wird erschwert. Ob der Durchgang nach oben ebenfalls durchlässig ist -- also ob man aufsteigt, wenn mensch sich nur mit guten Menschen umgibt -- ist dagegen mehr als fraglich. Vorsorglich haben auch schon einige Nutzer in sozialen Netzwerken ihre Freunde ironisch dazu aufgerufen sich zu entfreunden, falls sie Hartz IV empfangen sollten. Die Nachricht ist also verstanden wurden.

Diese Art der Datenverknüpfung ist zynisch und menschenverachtend. Sie stärkt die ohnehin schon grassierende Entsolidarisierung in der Gesellschaft, fördert Ellenbogenmentalität und stur hedonistisches Denken. Nach Schule, Ausbildung und Studium, die heutzutage schon stromlinienförmig zu verlaufen haben, muss jetzt also auch noch der Freundeskreis "artgerecht" gehalten werden. Kein Wunder, dass mir wieder reihenweise Nazivergleiche einfallen...

Dennoch, so ganz Hoffnungslos ist die Situation nicht, wie Heise mensch bei Heise lesen kann: Sie berichten, dass einige Datenschützer schon Bedenken gegen das Vorgehen angemeldet haben. Ich hoffe die Datenschützer haben recht und strafen der Aussage der Schufa, dass sich "natürlich alles im juristischen und legalen Rahmen in Deutschland" bewegt, Lügen. Wäre ja nicht das erste Mal, dass Big Brother Organisationen mit ihrer rechtlichen Einschätzung daneben lagen.

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